Badische Zeitung, 16. Juni 2015
Huldigungen an die See
Freiburg: Orsophilharmonic mit Tondichtungen über das Meer.
Das Meer: heftig zischende Gischten, sanft wogende Wellen, aufbrausend stürmische Winde. Dass diese Naturmacht Komponisten reizte, ist wenig verwunderlich. Mit welch unterschiedlichen musikalischen Mitteln diese Auseinandersetzung erfolgen kann, jedoch schon. Zwei klingende Beispiele für “Musik und See” gab das Orsophilharmonic unter Leitung von Wolfgang Roese im Freiburger Konzerthaus. Ein ambitioniertes Projekt zum Saisonabschluss, keine Frage. Gerade weil für die zweite Hälfte des Abends ein wirklich stattlicher Chor hinzutrat. Und so das bisher größte Chorprojekt in der über 20-jährigen Geschichte von Orso zustande kam.
Meer und Musik sind, miteinander verwoben, ziemlich komplex. Bestes Beispiel ist das bekannteste aller musikalischen Meeresbilder, Claude Debussys “La mer”. Da beginnt es so vielversprechend: Leise baut sich der durchaus mystische Klang auf, in geradezu ursprünglicher Weise öffnet sich das rauschende Gebilde. Doch dann verliert sich das Orchester nach und nach in den dichten Geflechten, in den teils stehenden und nur durch kleine Figuren bewegten Klangmustern. Wenn die Balance fehlt, können nur schlecht die gewünschten Impressionen entstehen. Die innere Logik in Debussys Musik herauszuarbeiten, ist aber auch nicht gerade einfach. Im aufgewühlten 2. Satz hingegen, im Spiel der Wellen, ist die bis dahin fehlende Kontur vorhanden: Da perlt es richtig, mal fein getupft, dann wieder mit gleißend-grellem Anstrich. Und wenn im abschließenden Satz – dem Dialog zwischen Wind und Wasser – tatsächlich ein manchmal zwar etwas überbordendes, doch mitreißendes Gegen- und Miteinander zustande kommt, ist das Bild des Meeres spürbar.
Ganz anders ist freilich Ralph Vaughan Williams “A Sea Symphony”. Mehr als konkrete Huldigung an die See ist das 1909 entstandene Werk zu verstehen. Das erste großangelegte Opus des Engländers, der als einer der ersten großen britischen Tonkünstler seit Henry Purcell (gestorben 1695!) gilt, hält sich in seiner musikalischen Logik eng an eine Textvorlage: vier ausgewählte Gedichte aus Walt Whitmans Zyklus “Leaves of Grass”. Diese offensichtlichere Strukturvorgabe hilft dem Orchester immens: Da gibt es viele klare Höhepunkte, eine nachvollziehbare Dramaturgie, die leidenschaftlich ausgekostet wird. Beim Strukturellen hilft auch der durchdringende Chorsound – der Orso-Chor wird hierbei vom Chor der Universität Island (Leitung: Gunnsteinn Ólafsson) ergänzt. Die gleichberechtigte Verknüpfung von Orchester, Chor und Soli (Sopranistin Eva Rydén und Bariton Gunnar Schierreich intonieren beide herrlich transparent) ergibt eine durchweg majestätische Klangwand: Deftig schmetternd im ersten Satz, dann wieder einsam-zurückgenommen im zweiten, aufbrausend mit Marschelementen im dritten. All diese Charakterweisen kumulieren im Finalsatz – wie heißt es an einer Stelle bei Whitmann so schön: “All identities that have existed or may exist”. Reich an klanglichen Identitäten ist die “Sea Symphony” in der Orso-Interpretation zweifelsohne, die Atmosphäre stimmt. So darf weitergemacht werden!
Badische Zeitung/Offenburger Teil, 15. Juni 2015
Begegnungen mit dem Meer
OFFENBURG. Wenn eine Sparkasse – so geschehen am Samstagabend in Offenburg – zum Kundenkonzert einlädt, kommen viele, die sonst eher nicht in klassische Konzerte gehen. Genauso ist es bei den Konzerten des ORSO-Imperiums von Wolfgang Roese, zu dem neben dem Crossover-Projekt “Rock Symphony Orchestra” auch das semiprofessionelle “ORSOphilharmonic” gehört.
Es ist an diesem Abend wie so oft: Die Musik, auf die viele Zuhörer selbst vielleicht nie gestoßen wären, packt das Publikum dennoch. Das in Thema und Epoche puristische Konzertprogramm wird nach gut zwei Stunden vom ausverkauften Haus begeistert bejubelt. Das Meer war die thematische Klammer des Abends, die Claude Debussys “La Mer” und Ralph Vaughan Williams “A Sea Symphony” zusammenhielt. Beide Kompositionen sind Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, beide hatten bei ihrer Uraufführung das Publikum durchaus irritiert. Denn statt durchstrukturierter Programmmusik und strenger Form dominieren hier musikalische Bilder, die nicht das Meer selbst, sondern die Gefühle des Menschen in der Begegnung mit dem Meer thematisieren. Und diese Gefühle sind offensichtlich heute immer noch die gleichen. Claude Debussy ging es als Kind wie vielen: Er wollte Seemann werden, genoss Ferientage am Meer in Cannes, und fasste mit über 40 Jahren diese Gefühle in eine Sinfonie, in der es braust und tröpfelt, weht und wogt, und in der die beruhigende Weite und die gefährliche Naturgewalt des Meeres musikalisch aufeinander treffen. Debussy hat die Partitur für ein normales Sinfonieorchester geschrieben, ruhiges Mittelmeer statt wildem Atlantik, den der englische Komponist Ralph Vaughan Williams bei seiner “Sea Symphony” offensichtlich vor Augen hatte.
Williams schlägt damit eine Brücke von England nach Amerika, denn er vertont die Naturlyrik des amerikanischen Dichters Walt Whitman, der in seinen “Leaves of Gras” nicht nur Grashalme, sondern auch Strand, Wellen und Seefahrer besingt. Williams erste Sinfonie ist auch die erste, in der der Chor nicht nur Beiwerk, sondern substantieller Bestandteil der Komposition ist, die für ein solch gigantisches Ensemble wie das ORSOphilharmonic geschrieben wurde. 250 Musiker und Sänger drängen sich auf der eigens erweiterten Bühne und natürlich ist der Klangeindruck überwältigend. Doch Williams ist kein Gigantomane, sondern schafft es inmitten dieser beeindruckenden Fülle, stille Momente zu inszenieren, traut sich im zweiten Satz ein Thema auf einem Ton aufzubauen, und schafft vielfältige Bezüge zu Edward Elgar und englischer Choraltradition.
Der ORSO-Chor, verstärkt durch den Chor der Universität Island, und das Orchester überzeugen bei diesem schwierigen Stück. Die Musiker und Sänger folgen dem ebenso sportlich wie charismatisch dirigierenden Wolfgang Roese präzise und mit Leidenschaft. Bariton Gunnar Schierreich und Sopranistin Eva Rydén setzen dem Ganzen ein Glanzlicht auf. Ein beeindruckendes und spannendes Konzert, das die stehenden Ovationen zum Schluss hoch verdient hatte.
Galerie:Ortenau, 14. Juni 2015
Die Kraft des Meeres ließ sich am 14. Juni im Freiburger Konzerthaus erleben. Verantwortlich dafür waren das Orso-Ensemble und sein Gast, der Chor der Universität aus Reykjavik. Auf dem Programm des Orso-Saisonfinales standen „La Mer” und „Sea Symphony”.
Großer Beifall brandete schon auf, als die ersten Orchestermitglieder die Bühne betraten. Und er steigerte sich noch, als der musikalische Leiter, Wolfgang Roese, das Dirigentenpult betrat: ein begeisternder Dirigent, wie ich noch keinen erlebt habe. Das Konzert begann mit Claude Debussys Komposition „La Mer”, seinen inzwischen weltberühmten „Drei sinfonischen Skizzen für Orchester”. In diesen Stücken – „Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer”, „Spiel der Wellen” und „Gespräch von Wind und Meer” – spürte man die Kraft des Meeres, mal ruhig, sonnig glänzend, dann wild schäumend und ungestüm, fast bösartig, dann wieder grau und traurig. Damit war das Publikum eingestimmt auf das hochemotionale Werk „A Sea Symphony” von Ralph Vaughan Williams – auf dessen eindrucksvolle Stücke von tosenden Weltmeeren, dramatischen Schicksalen von Seefahrern und schließlich von Schiffsreisen ohne Wiederkehr.
Ausdrucksstark und klanggewaltig
Die gewaltige Kulisse war einfach atemberaubend, und inklusive des Chors von der Universität aus Reykjavik wirkten mehr als 250 Künstler mit: Orchester, Chor sowie die beiden Solisten Gunnar Schierreich (Bariton) aus Deutschland und Eva Rydén (Sopran) aus Schweden. Sie boten in den vier Sätzen „A Song For All Seas, All Ships”, „On The Beach At Night Alone”, „Scherzo – The Waves” und „The Explorers” ein Meisterwerk ausdrucksstark, leidenschaftlich und klanggewaltig dar. Damit war der Höhepunkt im Konzerthaus erreicht. Für dieses maritime Meisterwerk erhielt das gesamte Ensemble stehende Ovationen.