(Badi­sche Zei­tung, 15. Janu­ar 2015)
Mit und ohne Wien. Aber immer mit Walzer

Beschwing­te Kon­zer­te zum Jah­res­auf­takt: Die K&K Phil­har­mo­ni­ker unter Georg Kugi und Orso Phil­har­mo­nic unter Wolf­gang Roese im Frei­bur­ger Konzerthaus.

Als ob der Drei­vier­tel­takt in der Gegen­warts­mu­sik noch eine Rol­le spiel­te… Ein­mal im Jahr jedoch – ganz zu Beginn, da wird er beschwo­ren in Wal­zer­form, so will es das Ritu­al. Und wenn nach über zwei­ein­halb Stun­den Johann-Strauß-Gala am Sams­tag im gut besuch­ten Frei­bur­ger Kon­zert­haus die Men­schen ste­hend applau­die­ren, spürt man, dass der Donau­wal­zer, der Strau­ßi­sche, der wah­re, tat­säch­lich magi­sche Kräf­te hat: ein D‑Dur-Drei­klang, der Türen und Her­zen öffnet.
Dabei ist das fast schon obli­ga­to­ri­sche Kon­zert der K&K Phil­har­mo­ni­ker zum Jah­res­be­ginn sicher kein Mus­ter an Ori­gi­na­li­tät. Ihrem Grün­der und Chef Mat­thi­as Georg Kend­lin­ger ist es nur gelun­gen, die Neu­jahrs­kon­zert-Tra­di­ti­on der Wie­ner Phil­har­mo­ni­ker zu impor­tie­ren und sys­te­ma­tisch zu ver­mark­ten (inklu­si­ve eini­ger Tanz­ein­la­gen, rou­ti­niert getanzt von vier Paa­ren und cho­reo­gra­phiert von Vik­tor Lit­vi­nov). Ver­dienst­voll ist die Öff­nung der Pro­gram­me für Rari­tä­ten aus dem Œuvre der Wie­ner Strauß-Fami­lie. Zum Bei­spiel mit “Traum­bild”, einem sin­fo­ni­schen Werk aus dem Nach­lass von Johann Strauß Sohn; die klei­ne Ton­dich­tung im Fan­ta­sie­stil ver­or­tet ihren Schöp­fer tief in der Roman­tik, mit ein biss­chen Phan­ta­sie las­sen sich Anklän­ge an Wag­ners Vor­spiel zum drit­ten Akt der “Meis­ter­sin­ger” heraushören.
Die Musi­ker aus dem ukrai­ni­schen Lem­berg machen mit ihrem Spiel nicht ver­ges­sen, dass die Regi­on auch habs­bur­gisch sozia­li­siert wur­de – obwohl die eins­ti­ge Haupt­stadt Wien fern war. Die ver­schie­de­nen Pol­ka­for­men beherr­schen sie aus dem Eff­eff, schwie­ri­ger ist es mit dem Wal­zer. Am bes­ten gelin­gen “Künst­ler­le­ben” und eben “An der schö­nen blau­en Donau”, wäh­rend “Rosen aus dem Süden” oder ein klei­nes Juwel wie Strauß’ opus 1 “Sinn­ge­dich­te” (lei­der mit ver­kürz­ter Coda) doch reich­lich eckig, kan­tig und dabei eine Spur zu schnell musi­ziert wer­den. Diri­gent Georg Kugi knüpft lei­der an die (auf den Plat­ten des Orches­ters nach­hör­ba­ren) Kendlinger’schen Unsit­ten unor­ga­ni­scher Ruba­ti und mecha­ni­schen Wal­zer-Mus­zie­rens an. Scha­de – in die­sem Orches­ter steck­te mehr Poten­zi­al (vor­aus­ge­setzt, man ver­gönn­te ihm noch ein paar ers­te Vio­li­nen mehr).

Wolf­gang Roese macht es anders. Der Diri­gent und Spi­ri­tus Rec­tor der Orso-Ensem­ble-Fami­lie prä­sen­tiert am Abend zuvor im Kon­zert­haus den Wal­zer durch das Pris­ma Mau­rice Ravels. “La val­se” – Apo­theo­se und Requi­em auf die­se Tanz­form zugleich – gerät ihm und sei­nem Orso-Phil­har­mo­nic äußerst acht­bar; die Ampli­tu­de der Emo­ti­on schlägt hef­tig in bei­de Rich­tun­gen aus. Gut, auch hier wünsch­te man sich mit­un­ter mehr Frei­hei­ten über das kon­se­quen­te Metrum hin­aus, aber die schil­lern­den Klang­far­ben der Ton­dich­tung haben pro­fes­sio­nel­len Anstrich.

Roeses Grund­satz, den (über­wie­gend) Lai­en­mu­si­kern stets etwas mehr abzu­for­dern, als eigent­lich mög­lich ist, geht erstaun­lich gut auf. Bei Ravels Bolé­ro und Paul Dukas’ genia­li­schem “Zau­ber­lehr­ling” wächst die­ser Klang­kör­per förm­lich über sich hin­aus: Tol­le solis­ti­sche Leis­tun­gen, aus­ge­zeich­ne­te Dyna­mik und eine bemer­kens­wert kla­re Into­na­ti­on kenn­zeich­nen die Inter­pre­ta­ti­on. Rach­ma­ni­nows Rhap­so­die über ein The­ma von Paga­ni­ni ist allein auf­grund ihrer rhyth­mi­schen Hür­den der Stol­per­stein des Programms.

Der­lei Unstim­mig­kei­ten aus­ge­blen­det bleibt auch hier noch eine Men­ge Erwäh­nens­wer­tes, gera­de bei den in der Regel wirk­lich stim­mi­gen Blä­ser­sät­zen. Der Pia­nist Ste­phan Hohl­weg besticht mit pro­fun­der Tech­nik und ins­be­son­de­re samt­wei­chem Lega­to­spiel. Eine schö­ne Idee, dass Chia­ra Moran­di gewis­ser­ma­ßen als Intro­duk­ti­on das “Ori­gi­nal”, Paga­ni­nis Capri­cen-The­ma Nr. 24, spielt. Zuvor hat­te die ita­lie­ni­sche Gei­ge­rin Ravels “Tzi­ga­ne” mit spie­le­ri­scher Ele­ganz und war­mem, mit­un­ter viel­leicht eine Spur zu distan­zier­tem Klang gemeis­tert. Und auch hier beglei­tet Orso inspi­riert. Ein Neu­jahrs­kon­zert ohne Wien – aber mit gro­ßem Charme!