(Badische Zeitung, 20. November 2013)
Wagner ist Verdis Alptraum
“Wahn und Verismo”: Ein Freiburger ORSO-Konzert
Das Jahr 1883, Venedig im Februar. Die “Tannhäuser”-Ouvertüre erklingt. Eine Stimme spricht von Giuseppe Verdi. Verdi? Das ist doch Wagner! Völlig korrekt, und doch an diesem Abend irgendwie zu kurz gegriffen. “Wahn & Verismo” heißt das Programm von Orso Freiburg, das nach der Absage im August nun im Konzerthaus erklang.
Der musikalische Leiter Wolfgang Roese und die Librettistin Ute Knoedgen hatten sich eine etwas andere Operngala vorgenommen, eine dramatische Collage aus Musik und Sprache. Und so kommt’s zur Fiktion, dass Wagner und Verdi erzählerisch-musikalisch in Venedig aufeinandertreffen. Die Geschichte, die Knoedgen entwirft, fesselt sofort: Im ersten Akt geht’s um Verdi und seine Sicht auf Wagner und dessen Musik. Etwa wie Verdi an seinem Schreibtisch sitzt – und im Klavierauszug des Lohengrin liest. Das Orchester zitiert dabei das Vorspiel, und man hört Verdi darüber sagen: Die Musik sei “mühsam”, rufe “geistige Lähmung” hervor. Und angesichts der Musik begreift man’s. Ein toller Einfall, Musik und Urteil so miteinander zu verknüpfen.
So wird man den gesamten Abend musikalisch umrahmt durch die Geschichte geführt: Zum gerade stattfindenden Karneval erklingt das berühmte “La donna è mobile” (Toll intoniert: Gunnar Schierreich), der ganz kurze Blickkontakt zwischen Wagner und Verdi wird erneut mit “Lohengrin” assoziiert. Und im Alptraum Verdis, in dem er sich der Übermacht Wagners hilflos ausgesetzt fühlt, tönt der Walkürenritt durch den Saal. Das ist etwas plakativ, passt aber einfach wie die Faust aufs Auge. Gerade aber wenn Sprecherin Knoedgen ab und an zu lauter Musik spricht, wird’s schwierig, sich auf beides zu konzentrieren. Multitaskingfähige Leute sind da eindeutig im Vorteil.
Genauso passend ist der zweite Akt aus Wagners Perspektive – wer denkt, dass dieser über Verdi sinniert, liegt falsch: Es geht nur um ihn selbst. Besser kann man Wagners Egomanie nicht darstellen. Das “Meistersinger”-Vorspiel wird dazu verwendet, ihn zu charakterisieren. Und als Wagner auf der Piazza San Marco ohnmächtig zu Boden sinkt, kommt Isoldes Liebestod (dramatisch exzellenter und stimmgewaltiger Sopran: Eva Rydén) auf die Bühne. Mit der “Tristan”-Musik erkennt Verdi, dass Musik ein Nebeneinander ist. Er will Wagner einladen, um ihm freundschaftlich seinen Respekt zu zollen. Da ist aber schon der 13. Februar, Wagners Todestag. Und so erklingt das “Libera Me” aus Verdis Requiem (pure Verzweiflung: Sopranistin Fenna Ograjansek). Es ist ein mitreißender Abend, an dem zudem deutlich wird, dass sich Orchester und Chor zwar so manches Mal schwer mit Wagners Komplexität tun, Verdi aber pointiert zu interpretieren vermögen. “Wahn & Verismo” ist ein gelungenes Konzept, das Verdi und Wagner assoziativ zu verbinden weiß.